Hideo Yokohama – 2

Hideo Yokohama – 2

Mit „2“ legt Atrium das zweite Buch von Hideo Yokohama auf Deutsch auf.

Bekannt geworden ist Yokohama mit dem Buch „64“, das den Deutschen Krimipreis 2019 gewonnen hat.

Kurz zum Inhalt:

Bei „2“ handelt es sich um, ja, zwei kürzere Erzählungen, die bereits 1998 im Original erschienen sind und ebenso wie „64“ rund um das Polizeipräsidium der Präfektur D spielen.

In „Zeit der Schatten“, der ersten, etwas über 80 Seiten langen Geschichte, verweigert Osakawe, ehemaliger Direktor des Kriminaluntersuchungsamts und nun Vorstandsvorsitzender einer Stiftung, die traditionelle Räumung seines Sitzes. Shinji Futawatari, seines Zeichens Inspektor in der Polizeiverwaltung, soll Osakawe dieses unehrenhafte Verhalten, dass auf die Polizei als Institution abfärbt, austreiben. Schließlich bliebe für den nächsten hochrangigen Pensionär sonst kein Posten, auf den dieser obligatorisch nach seinem Austritt aus dem aktiven Dienst geschoben werden kann.

Futawatari kann sein Ziel kaum erreichen, denn wie kann ein in der Hierarchie unten stehender Beamter einen verdienten älteren ehemaligen Direktor überhaupt zu etwas bewegen, ohne respektlos zu sein?

Also beginnt Futawatari mit einer eigenen Recherche nach den Gründen, warum sich Osakawe so ungebührlich verhält.  Nach einem Gespräch mit Maejima, mit dem Futawari zusammen auf der Akademie war, kommt er den Hintergründen für Osakwes Handeln immer näher.

So fand ich es:

Nein, ein Thriller ist diese Kurzgeschichte nicht, ganz egal was auf dem Cover steht. Yokoyma geht die Geschichte um das unehrenhafte Verhalten des Pensionärs Osakawe gemächlich an. Hier steht kein Verbrechen im Vordergrund. Auch das Privatleben der Protagonisten, das, mal zum Guten, mal zum Schlechten, gerne episch ausgebreitet wird, ist hier nur Gegenstand der Betrachtung, wenn es für die Erzählung nötig ist. Dennoch wird hier eine Ermittlung durchgeführt, die klären soll, warum Osakawe ein solches Tabu bricht. Was Hideo Yokoyama hier interessiert, ist die starre Verwaltung und Gesellschaft in Japan, die ein Ermitteln gegen Personen, die in einem höheren Rang stehen, nahezu unmöglich macht. Und das funktioniert tatsächlich. Mit den Kapiteln nimmt auch  – wenn schon keine eigentliche Spannung – dann doch zumindest die Neugierde zu. Am Ende will man doch wissen, was der Grund für Osakawes Handeln ist.

Die zweite Geschichte heißt „Schwarze Linien“. In den ca. 45 Seiten geht es um das Verschwinden der Polizistin Mizuho Hirano. Die junge Kommissarin ist Teil der Spurensicherung im Präsidium und hat am Vortag durch ein spektakulär treffendes Phantombild einen riesen Erfolg feiern können. Viel Lob, viel Ehr‘ für Hirano und die Polizei der Präfektur D. Daher ist es umso unwahrscheinlicher, dass Kommissarin Hirano unentschuldigt dem Dienst fernbleibt. Tomoko Nanao ist die Leiterin der weiblichen Polizistinnen in der Präfektur D und ahnt Schlimmes. Ehemals selbst Teil der Spurensicherung und mit einem ausgesprochen feinen Geruchssinn ausgestattet, beginnt nachzufragen. Ob Kapital- oder Herzensverbrechen: Grund für Hiranos unehrenhafte Abwesenheit ist sicher ein Mann.

Am Ende behält Nanao Recht, wenn auch die Dinge natürlich anders liegen als erwartet.

Diese zweite Erzählung des Bandes kommt einer Kriminalgeschichte zumindest nahe, immerhin geht es um das spurlose Verschwinden einer Polizistin und den Nachforschungen um die Hintergründe. Yokoyama baut auch hier nicht auf ein bedrohliches Szenario. Ebenso wie in der ersten Geschichte ist es eher die Neugierde, die einen weiterlesen lässt, zumal Yokoyama hier noch ein paar mehr Personen kurz auftreten lässt, was manchmal doch zu Verwirrungen führen kann, da die Nebencharaktere nur kurz ihren Satz beitragen, dann auch gleich wieder verschwinden, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Auch in „Schwarze Linien“ spielt der Verwaltungsapparat die Hauptrolle, diesmal aus der Sicht der Polizistinnen der Präfektur D. Dass Japan eine patriarchisch geprägte Gesellschaft ist sollte nicht wirklich überraschen. Und dass Frauen, die dann auch einen Beruf wie den der Polizistin ergreifen, mit Sicherheit einen stetigen Kampf führen müssen, ist nachvollziehbar. Dass dieser Kampf auf Grund der Traditionen im Land nicht offen geführt werden kann, macht die Sache nicht besser.

Fazit:

Atrium hat mit den Büchern von Hideo Yokoyama schon etwas sehr Seltenes auf den deutschen Buchmarkt gebracht. Wo David Peace bei seinen bei Liebeskind herausgekommenen „Tokyo“-Büchern sehr künstlerisch schreibt, bleibt Yokoyama kühl, klar, bisweilen distanziert. Das Gefühlsleben von Yokoyamas Personal steht nicht im Vordergrund.  Der Stil passt jedoch sehr gut zu der japanischen Gesellschaft, die eine Individualität oder das Zeigen von Gefühlen eher nicht goutiert.

Der Spiegel hat, laut Buchrücken, über Yokoyama gesagt: „Kafka meets Stieg Larsson“. Den Kafka-Vergleich unterschreibe ich sofort. Sich in der japanischen Gesellschaft und den noch spezielleren Eigenheiten, ungeschriebenen Gesetzten und Erwartungen der Polizeibehörde wiederzufinden, ist mit Fug und Recht als kafkaesk zu bezeichnen.

Den Vergleich zu Stieg Larsson hingegen sehe ich nicht. Ja, beide Autoren waren Journalisten. Und beide Autoren hatten einen Herzinfarkt, den Yokoyama jedoch überlebt hat. Dies und die Tendenz zu einer ungekünstelten Sprache reichen mir da jedoch nicht.

Am Ende fand ich die zwei Geschichten tatsächlich gut, jedoch nur, weil ich durchaus ein Interesse an Japan hege. Als Kriminalstücke funktionieren sie nach meiner Meinung nicht. Ich habe den Band „64“ von Yokoyama im Regal stehen, bin mir aber aktuell nicht sicher, ob ich den tatsächlich lesen möchte.

Was man jedoch sagen muss: Atrium hat sowohl mit „2“ als auch mit „64“ unheimlich schöne Bücher auf den Markt gebracht. Ein stimmiges Foto und Seitenschnitt im Nippon-Look. Sabine Roth hat die beiden Geschichten aus „2“ aus dem Englischen übersetzt. Mir ist nichts Negatives aufgefallen, also alles gut. Ob durch die stille Post zum Original viel verloren gegangen ist, kann ich nicht beurteilen. Dazu reicht mein Japanisch nicht.

Wer also einmal einen Einblick in die Seele Japans werfen möchte, oder (wie ich) sich noch nicht an „64“ herantraut, für den ist „2“ auf jeden Fall einen Versuch wert.

Nur bitte: Schreibt nicht „Thriller“ auf Bücher, die nicht einmal wirklich als Krimi durchgehen. Kopfschüttel…

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